Leipziger Messe

  • Doctor Love und die DDR (ein Erfahrungsbericht)

    …oder: Eine Momentaufnahme zur Leipziger Messe im Frühjahr 1990

    Seit 2 Tagen gibt es im TV Berichte über den Mauerfall in Berlin. Über die Öffnung der Grenzen eines Staates in einem Staat, in dem die Menschen mehr an Gefangene eines Gefängnisses mit Freigang erinnerten, als an freie Bürger. Den Mauerfall habe ich selbst nicht so euphorisch erlebt (Damals war ich noch jung, hatte noch eine feste Freundin, und wahrscheinlich grade tagelang andauernden wilden, hemmungslosen, schmutzigen, experimentierfreudigen Sex mit ihr. Da bekommt man ja nicht viel anderes mit!), wohl aber einige Dinge, die uns Wessis den schlechten Ruf einbrachten, den wir für die Ossis ja immer noch haben!

    (Zonen-Gabi mit ihrer ersten Banane – Ein Synonym für die Unzahl Verarschungen, welche ganze Heuschreckenschwärme von Finanzoptimierern, fliegenden Händlern, Autoverkäufer, usw. den Ossis angetan haben)

    Zu dem Zeitpunkt des Mauerfalls war ich im Messebau tätig. Und es war für mich, der früher nie in der DDR war, ein unglaublich bizarres Erlebnis zum Aufbau der Leipziger Frühjahrsmesse im Februar ‘90 (nur knapp 2 Monate nach dem Mauerfall) in die ehemalige DDR zu fahren. Aufgrund der Horror-Erzählungen von anderen Technikern, die schon ein paarmal “die Leipziger” gebaut hatten, bin ich schon mit einem flauen Gefühl im Magen, von Dortmund losgefahren. Die Strecke (knapp 400 Kilometer) zieht sich ganz schön, aber in Westdeutschland kommt man über die A44 Richtung Kassel ganz gut voran. Dann wird es zusehends langsamer, denn über die B7 weiter bis zum Grenzübergang Eisenach ist es nur Landstraße. Erst die letzten Kilometer sind wider Autobahn. Und je näher ich der Grenze kam, umso flauer wurde das Gefühl…

     Placeholder(“Gänsefleich mol den Goffer ofmochen?” Die DDR-Grenze bei Eisenach… oder wo auch immer. Es sah eine aus wie die andere! Und immer alles Grau in Grau!)

    Es war in der Tat, ein bedrückendes Gefühl, als man sah, dass hunderte Meter vom Grenzübergang meterhohe Zäune standen, das Gras statt saftig grün wie im Westen Deutschlands, bräunlich verbrannt und kurz geschnitten, damit sich niemand unbemerkt durch den Todesstreifen mogeln konnte. Die Grenzanlagen beeindruckende Betonburgen, aber wenn man genauer hinsah, war schon vielerorts der Verfall zu sehen. Überall schadhafte, abgeplatzte Stellen, die wohl niemand reparieren wollte. Überhaupt – man kam sich vor, als hätte jemand mit Photoshop einen Farbreduzierer über die Netzhaut gelegt. Statt kräftigen, leuchtenden Farben, allenfalls blasse Pastelltöne, die aber nicht in Hochglanz strahlten, sondern eher Matt ausschauten. Alles wirkte irgendwie billig. Und je weiter man über die Autobahn in Richtung Leipzig fuhr, umso schlimmer wurde es!

    Placeholder(DDR-Autobahn Anno 1989.. was fällt positiv auf? Genau! Lästige Leitplanken sind ebenso überflüssig wie Seitenstreifen.. Abenteuer pur, halt)

    Nicht nur, dass über dem ganzen Land eine Duftwolke von verbranntem Zweitaktgemisch lag (ja, nach meiner Erfahrung roch die DDR auch anders), was durch die überall gegenwertigen, und ständig Qualmwölkchen heraus stotternden und knatternden Trabbis kam. Das ganze Land war Grau in Grau! Grau war überhaupt die vorherrschende Farbe! Graue Plattenbauten aus Beton, graue oder verrostete Metallzäune entlang der Autobahn, graue Farbschleier auf Schildern und Beschriftungen. Die weitere Fahrt nach Leipzig auf der Autobahn wurde zum Abenteuer. Die Autobahn? Aneinandergelegte Betonplatten, die mehr schlecht als recht miteinander verbunden waren, und beim fahren ein einschläferndes “Badumm-Badumm” machten, wenn man über die Nahtstelle fuhr. Russische LKW’s die mit Tempo 10 Km/h des Nachts fast unbeleuchtet über die Autobahn krochen.

    Placeholder(So sah’s häufig aus! Kein Bombeneinschlag, sondern eine ganz normale DDR-Autobahn im Jahr 1989)

    Und es gab Schlaglöcher, so tief, dass es einem die Achse rausreißen konnte, wenn man es übersah, und hineinfuhr. Einmal gab es einen Schlag während der Fahrt, und ich bin vom Beifahrersitz komplett runtergeflogen. Der Inhalt des Becher Kaffees, den ich in der Hand hielt, klebte dafür am Wagenhimmel – was in einem Mercedes-Transporter mit Hochdach schon eine Kunst ist, denn das Dach ist gut einen Meter entfernt! Den Rest der Fahrt hatte ich ein Kissen unter dem Hintern, und den Sicherheitsgurt umgeschnallt, und mich festgezurrt wie ein Jetpilot!

    Da ich Beifahrer war, und ich mich etwas schonen wollte, versuchte ich den Rest der Strecke zu schlafen. Das gelang mehr schlecht als Recht auf der Rüttelbahn. Außerdem mussten wir zeitig auf dem Messegelände sein.  – Wir hatten nämlich Quartier bei einer Gastfamilie (ja, das gab’s: DDR-Bürger mit großen Wohnungen konnten sich die Erlaubnis einholen, Wessis als Pensions-Gäste zu bewirten). Die Adresse aber hatten wir nicht, die bekämen wir auf der Messe von dem Bauleiter des Bosch-Standes.

     Placeholder(Darin war die DDR unschlagbar! Im Zäune und Grenzen bauen. Aber selbst Nagelneu aufgestellt, sahen die Zäune schon alt und verwittert aus. Ich weiß nicht, wie man so etwas schafft!)

    Es kam, wie es kommen musste – Durch einen Reifenplatzer auf der Schlagloch-Piste, die übermütig Autobahn genannt wurde, kamen wir mit 2 Stunden Verspätung auf dem Messegelände an. Natürlich war niemand der Kollegen mehr da! Den Bauleiter per Handy darüber informieren? Haha! Versuch das mal, wenn du kein Netz hast…

    Was blieb uns anderes übrig, als die erste Nacht in einem Leipziger Hotel zu übernachten. So gegen 22:00 Uhr kurvten wir durch die Leipziger Innenstadt. Alles war in ein trübes, fahles Licht getaucht. Man hatte das Gefühl, dass es etwas neblig war, es war aber kein Nebel, sondern das kam durch die allgegenwärtige Staubwolke von Zweitakter-Abgasen. Trotzdem war es gespenstisch, fast unwirklich- ja surreal, weil es in der Innenstadt (immerhin war Leipzig eine Messestadt, in der sich die Welt trifft) fast Menschenleer war. Wir fanden schließlich nach langem rumirren ein großes Hotel mitten in der City. Und obwohl wir nicht reserviert hatten, ließ man sich herab uns ein Doppelzimmer für 500,00 Ostmark zu überlassen..


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    Das Zimmer? Eine Witz! Ich habe ganz Europa bereist, und nie in einem schlechteren genächtigt! Ein Schlauch von ca. 5 Meter Länge und 2 Meter Breite. 2 Betten, die an der rechten Zimmerseite längs hintereinander standen – links war grade noch Platz um sich am Bett vorbei zu zwängen. um ans Fenster zu gelangen (wo man russische Truppentransporter sah, die durch die City fuhren, und wenn man die schwerbewaffneten Soldaten sah, ging man schon freiwillig vom Fenster weg), oder um sich in die Nasszelle zu zwängen, die sich auch links befand, und eine Dusche, sowie ein WC enthielt. Die Einrichtung wirkte funktionell, aber billig! Viel Holz. Tapeten mit riesigen Pop-Art Mustern, die hier schon vor 10 Jahren out waren!

    Nach dem langen Tag eine heiße Dusche? Schön wär’s! Wir hatten ein Zimmer im sechsten Stock und der Heisswasser-Boiler war im Keller. Die Rohre natürlich nicht isoliert. Der Leser weiß was logischerweise kommen muss? Klar! Das aufdrehen des Heisswasser-Knebels brachte außer einem polterndem Geräusch erstmal minutenlang keine Änderung des Wasserzustandes. Aus dem kalten Kran kam kaltes, aus dem heißen Kran ganz kaltes Wasser! Nach ungefähr 5 Minuten quälten sich endlich die ersten Ausläufer lauwarmen Wassers aus dem Duschkopf. Wärmer wurde es auch nicht. Na gut. Ich wusste ja, aus Erzählungen von Kollegen, dass hier alles ein bisschen anders ist! Jetzt wenigstens ein bisschen Schlaf, denn morgen würde sicher ein harter Tag. Ich ließ mich erschöpft aufs Bett fallen, und kam mir vor, als wäre ich schon wieder mit dem Hintern auf den Wagenboden geknallt. Das war keine Matratze, sondern ein Stück Betonplatte von der Autobahn! Ich überlegte, ob es vielleicht bequemer wäre auf der Werkzeugbank des Montagewagens zu schlafen? Naja, wenn man schon so eine Menge Geld für ein Zimmer in der Größe einer Hundehütte bezahlt hat, dann nutzt man es auch.

    Die nächste Überraschung kam zum Frühstück. Welches wir als ‘Option’ mitgebucht hatten. Es gab bitteren Muckefuck-Kaffee, ein Holz-Schälchen mit 2 kalten Brötchen (eins für jeden) und 2 Scheiben Graubrot. Als Aufschnitt gab es 1 Scheibe Salami und einen Klecks Rührei. Ach ja, ein winziges “Elaste und Plaste”- Schälchen Marmelade gab es noch. Das war’s.. Selbst im Knast wäre die Auswahl größer (und der Schließer wäre wohl sogar netter, denn der “Pinguin” der uns bediente, war so unfreundlich und arrogant, dass ich ihm am liebsten das stumpfe, aber sehr biegefreudige Alu-Messer irgendwo hingesteckt hätte).

    Wir waren direkt froh, diesen Ort des Schreckens verlassen zu können, und begaben uns schleunigst zur Leipziger Messe, um die Adresse unserer Gastfamilie zu bekommen.

    Die Leipziger Messe? Ein Ansammlung fast abbruchreifer Hallen (die übrigens während der Messe geschickt auf NEU getrimmt wurden. Dort ein paar Liter Wandfarbe an die Stelle geklatscht, wo der Putz weg war, und dann noch einen Bauzaun davor, damit niemand genauer hinschauen konnte), an denen die Scheiben der Glastüren defekt waren, und die Innen völlig verwahrlost aussahen. Da die Messe-Handwerker aus der DDR Meister im tarnen, täuschen und verstecken waren, sind pünktlich zu Messebeginn, über die zerbrochenen Scheiben große Plakate geklebt worden.

    Glücklicherweise bekamen wir nun die Adresse unserer Gastfamilie, und die Betten und das Frühstück dort waren 2 Sterne besser, als in dem Nobel-Hotel! Es gab morgens sogar Schinken – Der allerdings gegen Westmark in einem Intershop gekauft wurde!

    Ein weiteres Kopfschüttel-Novum war die Badewanne und der Glutos-“Badeofen”.

     Placeholder(Der Glutos-Badeofen. Nur für furchtlose Zeitgenossen geeignet. Nicht vergessen: Vorher das Testament machen!)

    Während ich mich hier noch Dunkel an die alte Zink-Badewanne erinnern konnte, die aber, als ich im Alter von 6 Jahren war, gegen eine komplett eingemauerte und geflieste Email-Badewanne in einem Neubau ausgetauscht wurde, war bei unseren Gastgebern die Sanitär-Technik 50 Jahre hinter dem West-Standard zurück!

    Im Bad eine große freistehende Zinkwanne, und ein unheilvoll aussehender riesiger Badeofen, der erst mit Kohlen befeuert werden musste, und aus dem unter einem Mordskrach dann über abenteuerlich verlegte Metallleitungen, kochendheißes Wasser strömte. Dass Ding machte solch schreckliche Geräusche, dass ich mich mit dem Kopf bis unter den Wannenrand absinken ließ, um Deckung zu haben, weil ich immer Angst hatte, das Teil explodiert gleich! Meine Angst und Körperspannung wurde auch während des Bades nicht merklich weniger.

    Vor allem, weil die nette Tochter immer wieder ins Bad kam, um sich lächelnd zu erkundigen: “wie ist das Wasser?”..

    Interessant war auch ein Erlebnis, was ich mit der Tochter aus der Gastfamilie hatte.. Jaja – ich weiß schon, was meine Leserinnen jetzt denken: “Der Doc. hat Sie flachgelegt!” – Neeeein! – Ihre Eltern waren doch immer zuhause und passten auf wie Schießhunde.. Haha.

    Es ging darum, dass ich mal ganz gerne Abends rausgegangen wäre. Das ist aber in Leipzig, bzw. der DDR gar nicht so einfach gewesen. Kneipen gab’s zwar, aber Discos? Und selbst wenn du wusstest wo eine war, hieß das noch lange nicht, dass Du auch reinkamst! Das ging nur, wenn dich ein Stammgast mitnahm. Na, die Kleine war sofort Feuer und Flamme, mich mit in ihren Club zu schleppen.


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    Da ich den Tag noch auf der Messe war, hatten wir verabredet uns gegen 21:00 Uhr vor dem “Club” zu treffen. Also telefonisch ein Taxi bestellt, dass dann auch nach relativ kurzer Zeit kam. Das Taxi? Ein Fiat 128 Nachbau aus russischer Produktion. Der erste Schreck kam beim einsteigen und anschnallen. An der Stelle, an der normalerweise eine Gurtpeitsche befestigt ist – Ein ca. 30 mal 5 Zentimeter großes Loch, durch das man den Straßenbelag sehen konnte. “Wow – in der DDR ist echt vieles anders”, schoss es mir durch den Kopf! Da die passive Sicherheit nunmehr der Vergangenheit angehörte, und die Taxi-Fahrerin (während Sie ständig auf die Wessis schimpfte) todessehnsüchtig mit einem Affenzahn durch die City kurvte, dachte ich daran, dass ich mich vielleicht doch noch von meiner Freundin verabschieden sollte, verfluchte aber die Mobilfunk-Betreiber, für die scheinbar die DDR noch ein weisser Fleck auf der Landkarte war. Mit zitternden Knien stieg ich am vereinbarten Treffpunkt aus. Die ganze Taxifahrt, die durch die halbe Stadt führte, kostete grade 3 Westmark. Naja, dachte ich, wahrscheinlich hat sie sich verrechnet. – Nee.. hatte Sie nicht! Vor dem “Club” stand schon die Tochter meiner Gastfamilie. Dem “Türsteher” stellte Sie mich vor, und mit ihr konnte ich dann in den angesagten Superschuppen. Innen sah er nicht anders aus, als hier jede beliebige Eck-Kneipe. Nun ja.. das nächste “Wow” des Abends kam, als ich in dem angesagtem Laden etwas trinken wollte. Ich fragte also den Barkeeper, was er zu trinken hat. Seine Antwort: “Sag einfach was du willst!” Ich: “Bacardi-Cola..” Er: “Nöö ham wir nicht.” Ich: ”Pernod-Cola” – Kopfschütteln vom Gegenüber… So ging das eine ganze Weile! Schließlich fragte ich, weil ich langsam einen trockenen Mund hatte: “OK! Stop! WAS hast du da?” Seine Antwort: “Grüne Wiese”.. Ich: “Häää? Was soll das sein?” Er: “Sekt mit Waldmeistersirup!”

     Placeholder(grüne Wiese – Ein Longdrink für Kinder, aber nicht für einen gutausehenden, muskulösen, Messe-Techniker und Womanizer)

    Mir wurde schon bei der Vorstellung, dass ich so ein Tuckengetränk saufe, übel. Außerdem bestehen die Zutaten für ‘grüne Wiese’ aus Vodka, Blue Curacao, Sekt und Orangensaft! Aber in der DDR wurde ja häufig aus Mangel von Rohstoffen etwas “geschummelt” – Mein Blick fiel auf ein Regal an der Wand. Dort drinnen standen etliche Flaschen original russischer Vodka. Ich fragte: “Was ist damit? Vodka-Lemon?” Klar, die Antwort: “Lemon haben wir nicht!” – Ich hatte ehrlich gesagt auch nix anderes vermutet. Aber der Barkeeper hatte herrlich klebrige Ostdeutsche Orangenlimonade. Okay! Also bestellte ich 1 Flasche Wodka, und 2 Flaschen Limo. Die trank ich mit der Gastfamilientochter zusammen leer. Das nächste “Wow” kam beim zahlen! 10 Westmark musste ich bezahlen, für eine Flasche Vodka und die 2 Flaschen Sprudel.. Dafür hätte ich die Getränke nicht mal im Supermarkt im Angebot kaufen können.

    Überhaupt warf die DDR bei mir viele Fragen auf: Nicht nur, wie man es schafft, am Ende des Monats seine Pacht zu zahlen, wenn man die Getränke praktisch zum Selbstkostenpreis verschleudert – Nein, auch die Art und Weise, wie in der DDR gearbeitet wurde, schien mir nicht sehr effektiv zu sein. Das beste Beispiel, war unser Aufbau mehrerer Bosch-Stände auf der Messe. Es gab einen großen Stand, an dem knapp 10 Techniker aus Westdeutschland arbeiteten, und ich und ein Kollege sollten noch einen kleineren Stand von knapp 40 Quadratmetern in einer Neben-Halle aufbauen. Als wir kamen, war dort nichts weiter, wie blanker Hallenboden. Direkt neben uns war die DDR-eigene Firma “ROBOTRON” mit ihrem Stand in konventioneller Bauart.

     Placeholder(Der PC aus der DDR. Der, die oder das ROBOTRON. Natürlich hergestellt in einem VEB=Volkseigener Betrieb. VORWÄRTS IMMER-RÜCKWÄRTS NIMMER! FREUNDSCHAFT MA GUDSTER!)

    Die Standgröße von denen? Ungefähr 60 Quadratmeter. Als wir kamen, war der Stand bereits halb fertig. Es arbeiteten aber auch knapp 10 Leute daran. Im Laufe des Vormittags kam unser Tieflader, und lud den kompletten Stand aus. Bis Abends hatten wir den Teppich-Boden verlegt, die Standwände hochgezogen, und eine abschließbare Kabine gebaut. Am Nebenstand passierte derweil nichts. Die Kollegen des VEB-Robotron gingen gegen Mittag geschlossen zur Pause, und ließen sich erst Abends wieder blicken.

    Am nächsten Tag bauten wir den Kabinentrakt weiter, und fingen an die Deckenelemente einzubauen, und mit Lampen zu bestücken. Am Nebenstand passierte nicht viel. Ab und zu warf mal jemand eine Kreissäge an, aber da sich dann ein anderer Kollege beschwerte, dass er seine Zeitung nicht in Ruhe lesen kann, verstummte die schnell wieder. Am dritten Tag, war unser Stand fast fertig, und die Kollegen vom Nachbarstand rückten ihre Stühle in unsere Richtung, weil sie es unglaublich interessant fanden, wie schnell man scheinbar einen Messestand aufbauen kann.

    Man kam sich vor wie im Affenkäfig… Ach ja, müßig zu erwähnen, dass am Nachbarstand während der Beobachtungszeit nicht gearbeitet wurde. Die ausgedehnten stundenlangen Pausen wurden aber strikt von den VEB-lern eingehalten. Nach einer Woche Bauzeit, war unser Stand komplett fertig, und wurde vom Vertreter der Bosch AG abgenommen. Der Nebenstand der Robotron sah immer noch aus, wie am ersten Tag..

    Aber die DDR war noch für weitere “WOW”-Erlebnisse gut. Ein “Wow”, stieß ich aus, als ich Abends von der Messe kam, und am Mietshaus in dem unsere Gastfamilie wohnte das komplette Klingelbrett (ca. 50*50 Zentimeter) geklaut war. Es gab nur noch ein Loch in der Mauer, und etliche lose rumbaumelnde Klingelkabel! Denn auch das war die DDR: Alles was länger als 5 Minuten irgendwo unbeaufsichtigt rumlag, gehörte jedem, der schnell genug war, es abzuschrauben! Es war ratsam die Scheibenwischer des Autos Abends abzunehmen, und mit hoch in die Wohnung zu nehmen. Man kann sich das gar nicht vorstellen, dass es Verschleißteile, die es hier an jeder Tankstelle gab, in der DDR nicht gab. Auch wir wurden Opfer einer Ersatzteil-Beschaffungs-Maßnahme.

    Als ich nach ein paar Tagen morgens zur Messe fahren wollte, blinkte der Blinker in einem Rhythmus,, der darauf schließen ließ, dass eine Birne kaputt war. Und das sowohl beim Links- als auch beim Rechtsabbiegen. Nach abschrauben des vorderen Blinkerglases stellte ich fest: Die Birne fehlte. Und das auf beiden Seiten. Netterweise hatte man aber wenigstens das Blinkerglas nach der “Entleihung” des Leuchtmittels wieder ordnungsgemäß angeschraubt, damit es nicht reinregnet…

    Schlimmer war, dass man den westdeutschen Kollegen von uns trotz Bewachung den abgeschlossenen Messestand aufbrach, und denen daraus hochwertige Makita Akku-Schrauber und teure Kreissägen stahl. Dieses Werkzeug ließ sich natürlich in der DDR nirgendwo beschaffen. Gut dass wir im Werkzeugwagen ein paar Ersatzgeräte hatten, die wir den Kollegen leihen konnten.

    Ebenso unvorstellbar war folgender Umstand. Wir fuhren jeden Morgen die gleiche Strecke zur Messe, und kamen an einer Straße vorbei, bei der durch einen Wasserrohrbruch, das Wasser aus dem Asphalt sprudelte. Dieses Loch war schon am ersten Tag vorhanden. Auf dem Rückweg hatte man Metall-Pflöcke um das Loch eingeschlagen, Trassierband  drumgewickelt, und das war’s dann! Ende.. – Weiter passierte nix! Die ganze Aufbauzeit sprudelte fleißig das Wasser aus der Straße, ohne dass auch nur ansatzweise Anstalten unternommen wurden, den Rohrbruch zu beseitigen. Als wir nach der Messe zum Abbau kamen, war der Zustand der “Heilwasser-Quelle” unverändert. – So etwas in Deutschland-West? Undenkbar!!

     Placeholder(Zarte Pastelltöne wohin man schaut. Oder einfach nur die Farbe verdammt dünn aufgetragen? Die DDR wie ich sie gesehen habe…)

    Aber es gab noch mehr absonderliches, aber auch bedrückendes. So als unsere Gast-Familie uns mal was tolles bieten wollte, und uns extra einen Abend in ein supertolles Restaurant eingeladen hatte. Nicht nur, dass man vorher reservieren musste, und man am Abend draußen von einem befracktem “Pinguin” über eine “Liste der Erlauchten” Einlass gewährt wurde. Auch das Verhalten der Kellner war so was von arrogant und daneben. So saßen an unserem Tisch noch 2 Ostmädchen, die auch noch in ihrer Flasche Wein etwas zu trinken hatten, sowie in ihren Gläsern. Der Kellner schnauzte Sie an, “sie sollen sich gefälligst an einen anderen Tisch verziehen”. Klar! Waren ja nur Ossis! Einem Wessi gegenüber wäre er wahrscheinlich in den Arsch gekrochen. War der Service schon schlecht – das Essen war übelst! Das Gemüse war nicht frisch, sondern aus der Dose. Die Erbsen völlig schrumpelig, die Möhrchen matschig. Das Gemüse hatte einen metallenen Geschmack, als wäre es schon 20 Jahre in der Dose eingepfercht gewesen. Das Rindfleisch war zäh wie eine Schuhsohle. Es ließ sich mit den pieseligen DDR-Alumessern weder schneiden, noch ließ es sich kauen. Der dazu kredenzte Wein erinnerte an abgestandenen Zitronensaft mit Essig-Note. Es war mit einem Wort FÜRCHTERLICH! Trotzdem ließen wir uns nichts anmerken, weil wir unserer Gastfamilie nicht beleidigen wollten, die stolz waren, uns so was “tolles” bieten zu können.

    Als wir nach der Messe zum Abbau zurück kamen, sah ich auch ein typisches Beispiel eines Westdeutschen “Verarsch-die-Zonies” Tricks. Da hatte ein “Geschäftsmann” die gebrauchten Teppiche aus der Messehalle rausgerissen, und stand mit seinem Protzschlitten an der Straße, um die den Leipziger Bürgern für teures Geld zu verkaufen. Nun muss man wissen, dass Teppich, der auf Messen verbaut werden, der billigste Mist ist, den es gibt. Im EK kostet der grade mal 2 Mark pro Quadratmeter. Die halten grade mal eine Woche, weil die für Dauereinsatz nicht gemacht sind. Nach einem Monat in der Wohnung, ist dort an den stark beanspruchten Stellen kein Flor mehr. So etwas gebraucht für 20 Mark den Quadratmeter zu verkaufen.. Scheußlich! Was muss man für ein Charakter sein, um unschuldige, unwissende Menschen so über den Tisch zu ziehen?

    Das war meine Erinnerung an die DDR. Und ich muss sagen: Ich war froh nach den 3 Wochen Messe-Auf-und Abbau wieder in der BRD zu sein, und dahin gehen zu können, wohin ich will!!


    Ach, übrigens: Das ist glaube ich der längste Blogeintrag, den ich jemals geschrieben habe! Das sagt jedenfalls mein Live-Writer..

    (Für www.Hausaufgaben.de Ein Aufsatz über die DDR in 3300 Wörtern? Hier ist er!) 

    letzte Änderung: 11.11.2009 13:21 Uhr

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